Die Beurteilung schlanker Körper – die andere Art von Bodyshaming
Mai 2025
In meinen frühen Teenager-Jahren: Einmal mehr sitze ich mit meinem Bruder vor dem Fernseher und stopfe mir Chips und Süssigkeiten rein. Nicht nur weil es schmeckt. Nein, wir waren auf einer Mission! Wir wollten zunehmen. Wieso? Weil Menschen um uns herum uns das Gefühl gegeben haben, zu dünn zu sein.
Natürlich half das Futtern nichts. Auch Jahre später war mein Körper quasi unverändert. Egal was ich ass, egal wie wenig ich mich bewegte, egal wie viel mein Körper von anderen kommentiert wurde.
Ich musste mir Dinge anhören wie: «Du kannst keine Periode bekommen, weil frau sie nur ab 50 Kilo Körpergewicht hat» (Ich hatte meine Menstruation zu dieser Zeit sehr wohl schon, ha!); «Du isst wie ein Vögelchen»; «Du hast so dünne Oberschenkel, das ist nicht normal»; «Du isst die Frühlingsrollen nicht, weil du noch mehr abnehmen willst» (Ich hatte zu dieser Zeit eine Magenerkrankung und verzichtete möglichst auf fettiges Essen.); «Du solltest in deinen Fruchtsmoothie noch Haferflocken reinmachen, damit du mehr Kalorien zu dir nimmst»…
Ich könnte noch etliche weitere Beispiele nennen. Jahrelang, ungefragte Kommentare, Bewertungen, Verurteilungen. Im schulischen, privaten und auch im geschäftlichen Umfeld. Das hat Spuren hinterlassen! Ich fing an, meinen Körper zu hinterfragen. Ich fand mich zwar selber nie wirklich zu dünn und ich wusste ja, dass ich «einfach so bin», obwohl ich genug ass, nicht hungerte und mein Körper «funktionierte». Trotzdem kamen Zweifel auf, ob ich resp. mein Körper «falsch» sind.
Erst viel später konnte ich erkennen, dass wohl die meisten der Kommentare nicht aus einer Sorge um meine Gesundheit herauskamen, sondern aus einer Unbewusstheit. Dass es schmerzt, wenn ein Körper als zu dick oder gar als fett bezeichnet wird, ist inzwischen vermutlich den meisten Menschen bewusst. Aber dass das Be- und Verurteilen eines schlanken oder dünnen Körpers ebenfalls nicht angebracht ist und auch eine Form von Bodyshaming ist, sind sich viele (noch) nicht bewusst.
Ich möchte mich nun – vielleicht ein bisschen im Namen meines früheren Ichs, das sich noch nicht wehren konnte und die Kommentare einfach schluckte und still litt – dafür aussprechen, dass wir achtsamer miteinander umgehen. Egal welche Körperform ein Mensch hat, wir haben nie das Recht zu urteilen. Wir sehen immer nur an einen Menschen heran und nicht in ihn hinein. Wir wissen nicht, wieso ein Mensch so ist, wie er ist. Und das bezieht sich nicht nur auf den Körper. Aber der Körper ist das Erste, was wir sehen und auch oft das Erste, was wir beurteilen. Kennen wir dann die Geschichte dahinter, verändern sich unsere Gefühle.
Wir werden die Geschichte hinter dem Körper aber bestimmt selten zu hören bekommen, wenn wir einem Menschen zuerst einmal einen «dummen Spruch» um die Ohren hauen.
Heute: In meinen Dreissigerjahren war es mir ganz natürlich möglich, ein paar Kilo zuzulegen. Ohne Chips- und Süssigkeiten-Marathon.
Ich esse intuitiv, sprich, wenn ich Hunger habe und so viel oder wenig, wie es sich gerade stimmig anfühlt. Ich habe gelernt, meinen Körper so anzunehmen, wie er ist. Das war ein langer Weg – sicher auch wegen der ständigen Kommentare anderer. Aber die Verbindung, die ich jetzt zu meinem Körper habe, kann mir niemand mehr nehmen. Und ich bin dankbar, einen gesunden Körper zu haben, egal was die Waage sagt! Das wünsche ich jedermensch.